Die Portraitfotografie lebt von der Kreativität und vom Spiel mit der fotografierten Person. Man sollte sich immer über das Umfeld der Person informieren, um so zur Person passende Motiv-Ideen entwickeln zu können. Oftmals gelingen die besten Portraits in einer dem Model vertrauten Umgebung bzw. in einer Umgebung, die dem Charakter des Models entspricht. Natürlich kann man von dieser Regel abweichen um eine spezielle Wirkung zu erreichen, sollte dann aber genau wissen, was man tut.
In diesem Workshop stelle ich die aus meiner Sicht wichtigsten Grundlagen für ein gelungenes Portrait vor und gebe Tipps für den Umgang mit dem Model.
1. Umgang mit der zu fotografierende Person
Maßgeblich für die Qualität der Fotos ist, wie wohl sich das Model beim Shooting fühlt. Eine unsichere Haltung oder eine unbewusste Abwehrhaltung haben schon viele Fotos entwertet. Um professionell zu wirken und dem Model das Gefühl zu geben, in guten Händen zu sein, sollten man ein paar einfache Dinge beachten. Dabei startet das Shooting eigentlich schon weit vor dem Auspacken der Kamera.
Vorbereitung ist alles
Eine stets gute Idee ist es, immer eine (frische) Wasserflasche (für das Model) mit dabei zu haben. In der kalten Jahreszeit kann auch eine zusätzliche Jacke nicht schaden. Warum? Die fotografierte Person fühlt sich umsorgt und gut aufgehoben. Schon mit einer angebotenen Wasserflasche signalisiert man, dass einem etwas an der Person liegt und auch die Fotos zum Besten des Models geschossen werden sollen. Das schafft Entspannung. Merkt man, dass das Model angestrengt oder gestresst ist, ist eine Trinkpause immer sehr hilfreich, gerade wenn es ein längeres Shooting wird.
„Einfach schöne Bilder machen“ – das ist kein gutes Motto für ein Shooting. Hier sollte man mit dem Model mehr in die Planung investieren. Neben den Gedanken, die man sich selbst macht, sollte das Model mit einbezogen werden. Outfits, Location, Vorlieben bei der Lichtgestaltung, Alter, Geschlecht oder persönliche Neigungen sollten in die Planung mit einbezogen werden. Ein vorhergehender Austausch oder ein persönliches Gespräch bringen viel.
Ein sehr guter Tipp für Fotos von (noch) unbekannten Personen: Man sollte die Person bitten, in Vorfeld ein Foto von sich selbst zu machen. Damit sieht man, wie sich die Person selbst sieht und kann damit die Ausrichtung des Shootings grob abschätzen. Ein typischer Selfie mit dem Telefon genügt oft dafür.
Oft wird bei der Planung vernachlässigt, welche Ausrüstung für die erwarteten Bilder nötig ist. Entweder wird etwas wichtiges vergessen oder viel zu viel wird mitgenommen. Beides hemmt den Arbeitsfluss.
Fehlende Ausrüstung kann man oft preiswert leihen, jedoch sollte man sich vor dem Shooting damit hinreichend vertraut machen. Für umfangreiche Experimente ist meist selbst bei TFP-Shootings keine Zeit.
Das Shooting
Nicht jedes unserer Motive ist ein professionelles Model. Es sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass die persönliche Distanz (ca. 1-2m) nicht unterschritten wird. Damit vermeidet man, dass sich das Model instiktiv unwohl fühlt und in eine abwehrende Haltung übergeht. Dies gilt auch für das Verhalten ohne Kamera vor dem Auge. Im allgemeinen ist es keine gute Idee, fremde Models während des Shootings zu berühren – und sei es nur um die Haare oder eine Falte im Dress zu richten. Zumindest Fragen sollte man, falls es doch einmal unumgänglich ist.
Prinzipiell sollte man immer auf ein professionelles Auftreten achten, das Model nicht zu verschrecken ist dabei nur ein Aspekt. Ein anderer liegt beim Fotografen selbst: Unsicherheit kann sich leicht auf das Model übertragen. Unzuverlässigkeit oder Unpünktlichkeit schafft eine voreingenommene Haltung.
Gut, dass wir uns im Punkt zuvor so umfassend vorbereitet haben. 😉 Ohne triftigen Grund sollte man vom verabredeten Plan nicht abweichen. Das Model sollte bekommen, was zuvor verabredet wurde. Dabei meine ich nicht nur z.B. aus einem normalen Outdoor-Shooting plötzlich ein Akt-Shooting zu machen. Vielmehr sind es die Kleinigkeiten wie z.B. werden auch wirklich alle Posen, die sich das Model wünschte geschossen oder ob die Länge des Shootings ungefähr der veranschlagten Zeit entspricht.
Bei allen Fotos und Ideen, die man während des Shootings umsetzt, sollte man sich über die Nacharbeitungszeit im klaren sein. Es nutzt nichts 30 Posen mit jeweils mehreren hundert Bildern zu schießen und für die Nacharbeiten bzw. Bearbeitung nur einen Nachmittag anzusetzen.
Kommunikation ist wichtig
Zum Abschluss des ersten Punktes kommt der vielleicht wichtigste Tipp: Man sollte mit dem Model reden. Kommunikation hilft Hürden abzubauen, schafft Nähe und fördert so manche tolle Idee für ein einmaliges Portrait zutage. Auch während des Shootings hilft es der Entspannung typischen Smalltalk zu führen. Entstehen Fotos im Rahmen eines Interviews, sollte man dabei die wichtigen Themen des Interviews nicht streifen, denn dann konzentriert sich die Person wieder auf die Dinge, die ihr wichtig sind und damit ist die Entspannung dahin.
Ein wichtiger Punkt, gerade bei unerfahrenen Models ist: Wünsche bezüglich Posen/Haltung/Standort sollten immer als Frage formuliert werden. Diese wirken deutlich freundlicher und weniger „militärisch“. Ein: „Kannst Du bitte mal deine linke Hand zum Haar nehmen?“ wird im Allgemeinen deutlich besser aufgenommen als: „Und nun bitte die linke Hand ans Haar.“ Damit kann man je nach Location die Personen auch zu Posen bringen, die sie auf Anweisung so nicht einnehmen würden.
Durch die Stellung des Fotografen – gegenüber dem Model – kommt es oft und fast zwangsläufig zu Rechts/Links-Missverständnissen. Dies entschärft man durch zeigen mit der Hand in die Richtung, die man meint. Irrt sich das Model, ist generell ein: „Sehr schön, darf ich die andere Seite auch noch mal sehen?“ besser als „Nein, ich sagte LINKS.“
Damit sind wir schon beim nächsten Punkt, den man unbedingt beachten sollte: Das Model macht keine Fehler – man möchte nur noch etwas leicht verändern… Und dabei sollte man nie vergessen, das Model zu loben, damit es entspannt bleibt.
2. Technische Aspekte der Portraitfotografie
Für Portraitaufnahmen kann man so ziemlich jede Kamera- und Objektivkombination einsetzen. Die entstehenden Bilder haben je nach Wahl eine völlig andere Ausrichtung. Für den Einstieg gebe ich hier zwei Tipps, die es ermöglichen sicher und reproduzierbar zu brauchbaren Aufnahmen zu kommen. Von den Empfehlungen kann man natürlich gerne abweichen, sollte sich aber dann bewusst sein, was man tut und vor allem, warum.
Wahl der richtigen Blende
Die gewählte Blende sollte nicht zu offen sein, um Unschärfen auf dem Gesicht durch zu geringe Schärfentiefe zu vermeiden. Genauso sollte die Blende nicht zu weit geschlossen werden, um die Freistellungswirkung zu nutzen. Ich empfehle den Blendenbereich zwischen f/2.8-f8 je nach Abstand und Motiv.
Wahl der richtigen Brennweite
Wenn es eine Festbrennweite sein soll, empfehle ich für Crop-Kameras ein 50mm Objektiv wie z.B. das Canon EF 50mm 1:1.8 für Canon Kameras. Die Mehrinvestition in die 1:1.4-Version kann man sich für die Portrait-Fotografie getrost sparen – denn die Offenblende besitzt für die meisten Portraits eine viel zu geringe Schärfentiefe. Für Vollformat-Kameras empfehle ich eine Brennweite um die 85-100mm. Nutzt man Festbrennweiten, muss man sich im klaren darüber sein, dass man für die optimale Wahl des Bildausschnittes sich viel bewegen muss. Ich persönlich bevorzuge ein gutes Zoom-Objektiv wie das Canon EF 24-105mm f/4L IS USM.
Für die Wahl der Brennweite gelten allgemein die folgenden Regeln, die natürlich auch gerne missachtet werden können, wenn man sich der Wirkung bewusst ist:
- Eine geringe Brennweite (unter 50mm) führt zu einer mit abnehmender Brennweite zunehmenden Verzerrung des Gesichts. Man spricht hier auch vom Knollnasen-Effekt.
- 50-100mm sind optimal für die Portrait-Fotografie, weil sie in etwa dem menschlichen Auge entsprechen.
- Sehr lange Brennweiten (also signifikant über 100mm) lassen Model und Hintergrund weiter zusammen rücken, es ergibt sich durch den Kompressionseffekt eine sehr „flache“ Perspektive. Die Proportionen erscheinen nicht mehr ganz so natürlich. Was natürlich auch gezielt eingesetzt werden kann um die Person mit dem Hintergrund besser verschmelzen zu lassen.
3. Die richtige Perspektive in der Portraitfotografie
Im allgemeinen sollte man ein Model auf Augenhöhe fotografieren, dies nennt man die Gesichtshöhe oder die natürliche Position. Man vermeidet damit gekippte Linien und eine unnatürliche Anmutung des Bildes, was viele Menschen als störend empfinden. Die Position kann auch ganz leicht über der Gesichtshöhe liegen, ohne sofort aufzufallen. Dennoch kann man von dieser Regel (mehr oder weniger) abweichen um dem Bild eine spezielle Aussage zu geben. Wie immer gilt hier, wenn man von der Regel abweicht, sollte man sich über die Wirkung gedanken machen und dies auch gestalterisch in das Konzept des Bildes einfließen lassen.
Untersicht – dicke Helden?
Extrem von unten fotografierte wirken auf Bilder oft wie in einer Helden-Pose. Die „Heldenwirkung“, lässt sich zusätzlich durch den Blick des Models nach oben verstärken. Die Nachteile – leicht dickerer Bauch, Doppelkinn usw. – lassen sich in gewissem Unfang durch die Wahl des Hochformates kaschieren. Dennoch lohnt es sich den Bauch einzuziehen. 🙂
Eine ganz leichte Untersicht kann man unter Berücksichtigung der oben genannten Punkte nutzen, um die Dramatik einer Szene oder Pose zu verstärken.
von Oben – schummeln bei der Kleidergröße
Bei einer erhöhten Position des Fotografen gegenüber dem Model wirkt der Kopf im Vergleich zum Körper größer. Personen wirken so schlanker aber oft auch kleiner, kindlicher, manchmal unterwürfig. Diese Wirkung kann man z.B. bei der Kinderfotografie gut einsetzen.
4. Die „richtige“ Location & Beleuchtung
Viele sehr gute Portraits entstehen in einer Umgebung, die zur Person des Models passt. Es ist keine schlechte Idee einen Koch z.B. in seiner Küche zu fotografieren. So dies für den Verwendungszweck der Fotos nicht gefordert wird, sollte man auf eintönige oder sogar einfarbige Hintergründe verzichten. Strukturierter Hintergründe verleihen dem Bild Tiefe und lenken den Blick. Bei der Beleuchtung sollte man darauf achten keine Schlagschatten zu erzeugen und das Model nicht zu blenden. Ansonsten kann man gerne mit dem Licht spielen von Frontallicht bis zum komplexeren Rembrandt-Licht ist alles erlaubt. Nur eine Richtung sollte man (in den allermeisten Fällen) meiden: Das Licht von unten – es verwandelt fast jede Person in einen Zombie. Das ist ein No-Go in der Portraitfotografie.
Outdoor
So die Bilder nicht ohnehin in der Blauen Stunde entstehen, sollte man die direkte Mittagssonne möglichst meiden und im Schatten oder Halbschatten fotografieren. Sind starke Schatten nicht vermeidbar, hilft es diese mit Reflektoren aufzuhellen. Aber: Reflektoren sollten Schatten behutsam aufhellen und nicht eliminieren. Ebenso sollte von unten beleuchtet werden um eine „Geisterwirkung“ zu vermeiden. Bei starkem Sonnenlicht sollten besser weiße, diffuse Reflektoren nutzen um einen zweiten Schlagschatten zu vermeiden.
Bei schlechter Beleuchtung helfen Blitze bzw. Blitzanlagen weiter. Blitzen sollte man aber nur verhalten (wegen der evtl. unterschiedlichen Farbtemperaturen der Lichter) und ebenfalls von oben, denn zu starkes Licht von unten wirkt unnatürlich und (wenn übertrieben) wie aus dem Horrorfilm (man denke an die Taschenlampenspiele kleiner Kinder).
Auch nett: Bei tief stehender Sonne – Gegenlichtportraits. Hier ist natürlich eine Sonnenblende Pflicht. Mit einem Reflektor oder Blitz kann man die fotografierte Person leicht aufhellen, jedoch muss man hier aufpassen, nicht ins Romantik-Klischee abzudriften.
5. Abschluss
Ich werde diesen Workshop in den nächsten Wochen noch erweitern bzw. weitere Artikel dazu veröffentlichen. Für Wünsche, Fragen, Kritik und Anregungen bin ich immer offen und werde versuchen dies in meinen Artikeln unterzubringen.
Einen wichtigen Tipp habe ich noch zum Schluss: Man kann viel, sehr viel über Portraitfotografie lesen. Besser wird man jedoch nur durch die Praxis. Also: Ran an die Kamera, Fotos schießen und diese von Freunden und Bekannten kritisieren lassen.
Danke für die tollen Tipps und die gute Einführung. Kannst Du bitte auch noch ein paar Beispielbilder mit in die Anleitung hängen? Das würde die Wirkung noch besser veranschaulichen. Ansonsten – super Blog, danke!
Jens